Arbeitsgemeinschaft AIDS-Prävention NRW

HIVreport zur Chemsex-Studie

18. Juni 2014 - In ihrem neue HIVreport hat die Deutsche AIDS-Hilfe die Zusammenfassung der Chemsex-Studie übersetzt.

Die Studie der Autoren Adam Bourne, David Reid, Ford Hickson, Sergio Torres Rueda und Peter Weatherburn ging der Bedeutung des Drogengebrauchs für schwule und bisexuelle Männer in sexuellen Umfeldern nach. Die Studie bezieht sich ausschließlich auf einige Bezirke Londons.

Neben einer Sekundäranalyse der Daten aus dem European MSM Internet Survey (EMIS) für diese Region führten die Autoren 30 persönliche Interviews mit schwulen oder bisexuellen Männern durch. Fokusgruppen aus Mitgliedern der Community und weiteren Expertinnen und Experten unterstützen die Forscher bezüglich der Inhalte der Interviews, der Prioritäten der Analysen und der Festlegung von Empfehlungen.

Unter anderem wurde folgenden Fragen nachgegangen:

  • Warum und in welchen Kontexten konsumieren schwule Männer "Sexdrogen"?
  • Wie gestalten sie den "Chemsex" mit ihren Partnern?
  • Welche Auswirkungen hat der Konsum auf das HIV-Schutzverhalten?


Umfeld, Art der Anwendung der Drogen, Wirkungen

Naturgemäß führen Interviews zu einem sehr diffenrenzierten Bild der Situation. Einiges kann aber doch festgehalten werden:

  • Als Umfeld haben sowohl sozialräumliche Netzwerke und Saunen bzw. Clubs eine erhebliche Bedeutung.
  • Immerhin ein Drittel der Teilnehmer hatte vor kurzem Crystal Meth oder Mephedron injiziert. Die Injektion erfolgt überwiegend ohne Nadeltausch.
  • Als Wirkungen der Drogen beschreiben die Interviewten gesteigertes Selbstwertgefühl oder sexuelles Selbstvertrauen, Erleichterung der Kontaktaufnahme, Steigerung der sexuellen Erregung und des sexuelles Erlebnisses, Verlängerung der sexuelle Begegnungen sowie vielseitigeren oder gewagteren Sex. Einige erklärten, dass sie es als schwierig oder unmöglich empfinden, ohne diese Drogen Sex zu haben.
  • Diejenigen, die sich für die Injektion von Drogen, insbesondere Crystal Meth entschieden hatten, gaben an, dass diese Art des Konsums zu noch extremerem Sex führe als eine andere Form der Verabreichung.
  • Die Veränderungen werden nicht durchweg nur positiv gesehen: Die einen schätzen das Gefühl von sexuellem Abenteuer; die anderen sind besorgt, dass sie ihre eigenen sexuellen Grenzen überschritten haben könnten.
  • Trotz der Steigerung des sexuellen Erlebens gab die Mehrheit der Männer an, mit ihrem Sexleben nicht zufrieden zu sein. Viele wünschten sich einen langfristigen Partner für intimeren und emotional verbundeneren Sex.


Drogen und Risikoverhalten bei HIV-Übertragungen

"Es gab grob zusammengefasst vier Formen des Drogenkonsums und der sexuellen Risikobereitschaft.

  1. Mehr als ein Viertel der Teilnehmer (von denen alle HIV-positiv waren) hatten sich im Vorfeld entschieden, ungeschützten Analsex mit Männern zu haben, von denen sie glaubten, dass sie ebenfalls HIV-positiv waren. Drogen können die Anzahl der Männer, mit denen sie Sex haben, sowie die Dauer des Geschlechtsakts erhöhen, sie schienen jedoch nicht der Hauptantrieb für die sexuelle Risikobereitschaft zu sein.
  2. Fast ein Drittel der Männer fand es schwierig, ihr Verhalten unter dem Einfluss von Drogen zu kontrollieren und ging das Risiko der Übertragung von HIV oder anderen Infektionskrankheiten ein, was sie anschließend bereuten. Dies waren häufig Männern, die bereits zuvor Probleme bei der Einhaltung der Safer Sex-Regeln hatten, die sich beim Konsum von Drogen noch verstärkten.
  3. Ein kleiner Teil der Männer suchte nach risikohaftem Sex und fühlte sich durch die Einnahme von Drogen noch risikobereiter, weil sie sexuelle Grenzen überschritten und sexuelle Fantasien von Gefahr und Überschreitung ausgelebt werden.
  4. Ein Viertel der Teilnehmer hatte häufig Chemsex, hatte aber das Gefühl, das eigene Handeln kontrollieren zu können, war mit dem Sexleben zufrieden und hatte Sex mit sehr begrenzter Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von HIV oder anderen Infektionen.

Die Kenntnis der HIV-Übertragungsrisiken (einschließlich der Verhinderungsmöglichkeiten) war unter allen Teilnehmern hoch, doch knapp ein Drittel der HIV-negativen Männer hatte unter dem Einfluss von Drogen ungeschützten Analverkehr (entweder absichtlich oder unabsichtlich und manchmal mit Gelegenheitspartnern, deren Serostatus unbekannt war).

Andere sexuell übertragbare Krankheiten als HIV wurden in der Regel als nicht schwerwiegend angesehen (mit Ausnahme von Hepatitis C) und nicht alle Männer mit der Diagnose HIV ergriffen Maßnahmen, um andere sexuell übertragbare Infektionen zu vermeiden."


Negative Erfahrungen und Folgeschäden

Neben des positiv bewerteten Folgen wurden auch "körperliche, seelische, soziale und beziehungsbezogene Folgeschäden" berichtet.

"Mehrere Männer waren in Folge einer Überdosierung bereits ins Krankenhaus eingeliefert worden, während andere unter Panikattacken, Krämpfen und Bewusstseinsverlust litten." Auch sexuelle Belästigung war ein Thema.


Umgang mit Drogen und Nutzung von Hilfsangeboten

Der überwiegende Teil hielt seinen Drogenkonsum für unproblematisch. Andere wünschten sich mehr Kontrolle über den Drogenkonsum beim Sex.

Klare, ehrliche und nicht wertende Informationen über Drogenkonsum und sicheren Chemsex sowie Angebote zur Reduzierung der Folgeschäden sind auf jeden Fall erwünscht.


Empfehlungen der Autoren der Chemsex-Studie

"Informationskampagnen ("Social Marketing") über die Gefahren von Chemsex können wir nicht empfehlen (weder für LSL noch für London oder landesweit). Nur wenige der Problemlagen, die dieses Forschungsprojekt offenlegte, lassen sich über Infokampagnen lösen.

Stattdessen gibt es eine Reihe von allgemeinen politischen und praktischen Ansätzen die die Studienergebnisse nahelegen:

  1. Wir empfehlen die Produktion und Verteilung von unterschiedlichsten Medien zur Harm Reduction für Drogenkonsumenten.
  2. Wir empfehlen den Zugang zu schwulenfreundlichen Drogen- und Sexualberatungsstellen für schwule Männer zu erleichtern. Die Beratungsstellen sollten kompetent sein, zu den psychosozialen Aspekten schwuler Gesundheit und den Folgeschäden von Chemsex zu beraten.
  3. Wir empfehlen eine koordinierte Zusammenarbeit mit Managern von Sex-Clubs zur Erarbeitung von eindeutigen schadensbegrenzenden Richtlinien und Vorgehensweisen.
  4. Wir empfehlen eine koordinierte Zusammenarbeit (auf lokaler, landesweiter und internationaler Ebene) mit Unternehmen und Schwulenmedien (darunter auch jene, die sozialräumliche Netzwerk-Apps und Webseiten zur Verfügung stellen), um Möglichkeiten der Gesundheitsförderung und Schadensreduzierung ("cooperate responsibilty") gegenüber den Nutzern zu vereinbaren."


Den kompletten HIVreport "Chemsex" finden Sie unter hivreport.de.

Die Originalstudie Bourne, A. et al. (2014): The Chemsex Study: drug use in sexual settings among gay and bisexual men in Lambeth, Southwark & Lewisham. finden Sie unter lambeth.gov.uk.

 

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