Bericht zur HIV/Aidsprävention in NRW 2024
Für das Erfassungsjahr 2024 liegt neuer Bericht zur HIV/STI-Prävention in NRW vor. Die Grundlage bilden die Daten der Fachdatenerhebung.NRW, in der Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Freien Trägerschaft ihre Ressourcen sowie durchgeführten Maßnahmen in den Bereichen Beratung, Projekte und Veranstaltungen, Fachberatung/Fortbildung und Förderung der Selbsthilfe dokumentieren. Erstmals wurden die Angaben über die neue Online-Plattform „Fachdatenerhebung.NRW“ erhoben, die einige Änderungen in der Erfassungslogik sowie ganz neu die Erfassung von HIV-, Syphilis- und HCV-Tests der Freien Träger ermöglicht.
Der Bericht zeigt, wie sich die Kontaktzahlen in den einzelnen Maßnahmenbereichen entwickelt haben und welche Zielgruppen besonders erreicht werden, etwa schwule Männer und andere MSM, i.v. Drogengebrauchende, Jugendliche, Menschen mit HIV sowie eingewanderte Menschen. Neben den personalkommunikativen Angeboten werden auch ehrenamtliche Tätigkeiten und die Nutzung von Testangeboten dargestellt.
Ein herzlicher Dank gilt allen teilnehmenden Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Freien Trägerschaft, die mit ihrer Dateneingabe und ihrem Engagement die Berichterstellung überhaupt erst ermöglicht haben!
Der Bericht bildet eine wichtige Grundlage für künftige Analysen und eine differenzierte Auswertung der Entwicklungen in der Präventionslandschaft in NRW. Den vollständigen Bericht finden Sie hier.
Einordnung zum Bericht der Fachdatenerhebung.NRW
Von der „Landesweiten Datenerhebung“ zur „Fachdatenerhebung.NRW“
Die Ergebnisse des Erhebungsjahres 2024 zeigen eine weiterhin breite und differenzierte Präventionslandschaft in NRW, die sich sowohl an klassische Zielgruppen der HIV-/STI-Prävention als auch an neue Bedarfe anpasst. Gleichzeitig machen sie deutlich, dass 2024 ein Übergangsjahr war.
Mit dem Erhebungsjahr 2024 wurde die bisherige „Landesweite Datenerhebung“ in die neue Fachdatenerhebung.NRW überführt. Diese Umstellung markiert einen wichtigen Schritt hin zu einer technisch modernen, bedienungsfreundlichen und inhaltlich erweiterten Erhebung.
Systematisch erfasst werden neben personellen Ressourcen und fachlichen Aktivitäten auch Daten zu Beratungsangeboten, Projekten und Veranstaltungen, zur Vernetzung sowie zu Maßnahmen der Selbsthilfe. Erstmals wurden 2024 auch Untersuchungsangebote zu HIV, Syphilis und Hepatitis C quantitativ erhoben. Die diesjährigen Daten bilden die Basis für künftige Analysen und bieten von nun an die Möglichkeit für eine differenziertere Auswertung. So wurden beispielsweise die Geschlechtskategorien erweitert (Transmännlich und Transweiblich statt Trans, sowie Non-binär, Anderes und Nicht-Angegeben), bei den Zielgruppen kamen „Menschen mit HIV" sowie „Eingewanderte und direkte Nachkommen" hinzu.
Durch die Überarbeitung der Erhebungsstruktur, insbesondere bei den Kategorien zu Zielgruppen, Altersgruppen und Geschlechtern, kann ein Vergleich der Daten erst in den Folgejahren genauer erfolgen. Trends oder Entwicklungen lassen sich in diesem Jahr noch nicht eindeutig erkennen.
In den Freitextangaben zu den „Themen des Jahres“ der Einrichtungen wird sichtbar, dass sich die Arbeit 2024 stark im Spannungsfeld von zunehmender Queerfeindlichkeit, Rassismus, Demokratiefeindlichkeit und politischer Polarisierung bewegt. Mehrere Einrichtungen berichten von queerfeindlichen Äußerungen in Workshops, wachsender Ablehnung gegenüber Gender-und Diversitätsthemen sowie zunehmenden Verschwörungsmythen und politischen Debatten (v.a. bei den Themen Wahlen, Krieg, Flucht). Gleichzeitig bleibt der Unterstützungsbedarf für Menschen mit Migrationsgeschichte, Personen ohne oder mit unzureichender Krankenversicherung sowie für geflüchtete Menschen hoch und prägt die inhaltliche Ausrichtung vieler Angebote.
Mehrere Einrichtungen heben Engpässe bei HIV-Medikamenten und PrEP, finanzielle Unsicherheiten und drohende Kürzungen, Fachkräftemangel sowie steigende Dokumentations-und Konzeptionsanforderungen als Themen des Jahres hervor, die die Handlungsspielräume der Träger zusätzlich einschränken.
Weitere Querschnittsthemen des Jahres sind der Anstieg von Substanzkonsum (insbesondere Crack), Chemsex, HIV & Alter, die Versorgung und Beratung von trans* und nicht-binären Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Die Gesamtzahl der Kontakte im Maßnahmenbereich Beratung ist 2024 im Vergleich zu 2023 deutlich von 236.769 auf 119.440 gesunken und hat sich damit nahezu halbiert. Da gleichzeitig mit der Umstellung der Plattform neue Zielgruppenfelder und die Möglichkeit der Mehrfachzuordnungen eingeführt wurden, ist möglich, dass ein Teil dieses Rückgangs auf Erfassungsumstellungen und noch nicht ausgeschöpfte Nutzung der neuen Plattform zurückzuführen ist.
Personalkommunikative Beratungskontakte konzentrieren sich laut den Angaben thematisch stärker auf komplexe Fälle und psychosoziale Fragestellungen. Genannt werden hier vor allem die Themen Spätdiagnosen, Beratung in prekären Lebenslagen oder Mehrfachdiskriminierung.
Inhaltlich bleibt Beratung jedoch zentral und spiegelt viele der genannten Themen des Jahres wider: Rund ein Drittel der Kontakte entfällt auf eingewanderte Menschen, was den anhaltend hohen Unterstützungsbedarf für Menschen mit Migrationsgeschichte oder auch unsicherem Aufenthaltsstatus bestätigt.
Mit 18.166 Kontakten wurde zudem eine große Zahl von Menschen mit HIV erreicht. Hier zeigen sich insbesondere Beratungen zu komplexen Lebenslagen wie Spätdiagnosen, Diskriminierung im Gesundheitswesen, prekären Wohnsituationen und psychosozialer Unterstützung, die von vielen Einrichtungen als Schwerpunkt genannt wurden. Auffällig ist auch der gestiegene Anteil von Online- und E-Mail-Beratung auf nun 10,8%, was auf eine vorsichtige Wiederentdeckung digitaler Formate parallel zur persönlichen Beratung hinweist und zugleich den hohen Bedarf an niedrigschwelligen, anonymen und barrierefreien Zugängen unterstreicht.
Im Bereich der personalkommunikativen Projekte und Veranstaltungen konnten mit 405.542 Kontakten trotz eines leichten Rückgangs gegenüber 2023 weiterhin sehr hohe Reichweiten erzielt werden. Besonders stark vertreten sind hier schwule Männer und andere MSM mit über 200.000 Kontakten sowie Jugendliche mit knapp 125.000 Kontakten. Gerade in diesen beiden Zielgruppen schlagen sich einige Themen des Jahres deutlich nieder.
Einige Einrichtungen berichten außerdem davon, dass in sexualpädagogischen Angeboten, verstärkt die Themen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, digitale Lebenswelten (Sexting, Social Media, Cybermobbing), Konsens und sexualisierte Gewalt sowie Körperwissen und Verhütung thematisiert werden.
Rund 30% aller Kontakte in Projekten und Veranstaltungen entfielen auf eingewanderte Menschen, wobei die Gruppe „sonstige eingewanderte Menschen" mit 26,8% besonders stark vertreten ist und auf eine zunehmende Heterogenität der Migrationskontexte sowie die Relevanz migrations- und kultursensibler Präventionsangebote hinweist.
Im Maßnahmenbereich Fachberatung/Fortbildung standen 2024 Fachkräfte mit Multiplikator*innenfunktion im Mittelpunkt: 69,1% der 7.961 Kontakte entfielen auf diese Gruppe, was die Bedeutung von Schulungen für Lehrkräfte, pädagogisches Personal, medizinische Fachkräfte und andere Multiplikator*innen für eine nachhaltige Prävention unterstreicht. Zudem spiegelt dies den hohen Bedarf an Professionalisierung und Handlungssicherheit wider.
In der Förderung der Selbsthilfe wurden knapp 10.000 Kontakte erfasst; hier bilden Menschen zwischen 20 und 39 Jahren mit 40,2% die größte Altersgruppe. Zugleich machen zusammen fast 50% der Kontakte in der Selbsthilfe die Altersgruppen 40-59 und über 60-Jährige aus, was dem in den Themen des Jahres genannten Schwerpunkt „HIV und Alter" entspricht.
Demgegenüber ist die Zahl der Vollzeitäquivalente von 256 auf 236 sowie der ehrenamtlich Tätigen auf 744 Personen gesunken, was die von vielen Einrichtungen angesprochenen strukturellen Herausforderungen (Fachkräftemangel, Personalfluktuation, finanzielle Unsicherheiten, drohende Kürzungen, steigende Verwaltungsaufgaben) unterstreicht und zu Veränderungen in der Angebotsstruktur der Einrichtungen führen kann.
Mit der Fachdatenerhebung.NRW 2024 stehen erstmals landesweit standardisierte Zahlen zu HIV-, Syphilis- und Hepatitis-C-Tests aus Einrichtungen freier Trägerschaft zur Verfügung. Insgesamt haben 25 Einrichtungen Angaben zu ihrem Untersuchungsangebot gemacht und damit 2.871 serologische HIV-Untersuchungen, 4.926 HIV-Schnelltests, 2.044 serologische Syphilis-Tests, 3.104 Syphilis-Schnelltests sowie 497 serologische Hepatitis-C-Tests und 1.468 HCV-Schnelltests dokumentiert. Zusätzlich wurden 243 assistierte/begleitete HIV-Selbsttests durchgeführt und 333 Selbsttests verkauft bzw. abgegeben, was auf die enorme Vielfalt in der Test- und Untersuchungslandschaft hinweist.
Bei den HIV-Tests zeigt sich, dass serologische Untersuchungen und Schnelltests etwa gleich häufig genutzt werden, wobei Schnelltests mit 4.926 Tests leicht überwiegen. Von den serologischen Untersuchungen waren rund 61% (1.744 von 2.871) kostenfrei. Mehr als die Hälfte dieser kostenfreien Tests (56,5%) war landesfinanziert, was die Bedeutung der Kooperation zwischen Freien Trägern und dem öffentlichen Gesundheitsdienst für einen niedrigschwelligen Zugang unterstreicht.
Die Positivenrate liegt mit insgesamt 18 reaktiven serologischen Ergebnissen und 22 reaktiven Schnelltests im erwartbaren Bereich. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die dokumentierenden Einrichtungen relevante Risikogruppen erreichen. Assistierte Selbsttests machen mit 243 Anwendungen zwar nur einen kleinen Teil des Testvolumens aus, weisen mit 0,8% reaktiven Ergebnissen aber ebenfalls auf einen gezielten Einsatz bei Personen mit erhöhtem Risiko hin.
Im Bereich Syphilis liegt die Zahl der dokumentierten Tests mit 2.044 serologischen Untersuchungen und 3.104 Schnelltests leicht niedriger als bei HIV. Auffällig ist der hohe Anteil kostenfreier, landesfinanzierter serologischer Tests: 1.387 von 2.044 Untersuchungen waren kostenfrei, davon 71,4% landesfinanziert. Die Positivenraten von 2,9% bei serologischen Tests und 1,3% spiegeln die Notwendigkeit der Testangebote bei Freien Trägern wider, wie sie in vielen Einrichtungen bereits umgesetzt werden.
Auffällig sind die Ergebnisse zu Hepatitis C: Mit 497 serologischen Untersuchungen und 1.468 Schnelltests ist die absolute Testanzahl geringer als bei HIV und Syphilis. Gleichzeitig liegt die Positivrate bei den serologischen HCV-Untersuchungen mit 11,3% (56 reaktive Ergebnisse) deutlich höher. Dies deutet darauf hin, dass die serologischen HCV-Tests vor allem bei Personen mit erhöhtem Risiko, wie beispielsweise Drogengebrauchenden, eingesetzt werden.
Aus Sicht der Geschäftsstelle bestätigt die Ergänzung der quantitativen Abfrage unter „Untersuchungsangebote", dass niedrigschwellige und zielgruppenspezifische Teststrukturen ein zentraler Baustein der HIV-/STI-/HCV-Prävention in NRW sind. Die Daten zeigen, dass die Testangebote Freier Träger dazu beitragen, dass Menschen mit erhöhtem Risiko erreicht werden.