Arbeitsgemeinschaft AIDS-Prävention NRW

Freiheit - Gesundheit - Solidarität

2. April 2014 - Auf die Anregung des Arbeitskreises Welt-AIDS-Tag in Wuppertal hin wurde am 31. März 2014 in der Bergischen Volkshochschule im Rahmen der traditionellen Veranstaltungereihe "Politische Runde" über die Themen "Freiheit - Gesundheit - Solidarität" diskutiert.


Gesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens und nicht vorrangiges Lebensziel

In einem Vortrag reflektierte Beate Jagla anhand der Thesen verschiedener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie die drei Begriffe zu verstehen sind und in welcher Beziehung sie zueinander stehen:

  • Absolute Freiheit ist mörderisch; sie tritt die Würde des Menschen mit Füßen. Geteilte Freiheit hingegen erkennt im Mitmenschen ein gleichberechtigtes Wesen an, mit dem man solidarisch ist (Annemarie Pieper).
  • Für eine maximale Freiheit in der Gesellschaft, was nicht die maximale Freiheit aller Individuen ist, müssen wir auf Solidarität bauen, die auch gegenseitig ist. Wir müssen Wünsche und Handlungen anderer mittragen, weil auch sie unsere Wünsche und Handlungen mittragen. Freiheit und Solidarität bedingen einander, sind sozusagen „zwei Seiten einer Medaille“ (P. Sylwester Walocha).
  • Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Um Gesundheit zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel (Weltgesundheitsorganisation).
  • Gesundheit und Krankheit sind nicht nur vom individuellen Verhalten und von der medizinischen Versorgung abhängig, sondern auch generell von den Lebens- und Arbeitsbedingungen, in denen die betreffenden Menschen leben (Göran Dahlgren und Margaret Whitehead).


Die vermeintliche Schuld der Individuen an ihrem Gesundheitszustand rückt in den Mittelpunkt

Zum aktuellen Bedeutungswandel der drei Begriffe führte sie aus:

  • Die zunehmende Individualisierung der Freiheitsbegriffs in unserer Gesellschaft führt dazu, dass die Freiheit der gesamten Gesellschaft, also aller Beteiligter, aus dem Blick gerät.
  • Solidarität wird aktuell eher als große Last bewertet, als Behinderung der individuellen Freiheit. Solidarität wird vor allem unter dem Kostengesichtspunkt gesehen, als Bürde für die Gesellschaft, nicht als Instrument der gemeinsamen Freiheit (P. Sylwester Walocha).
  • Die Verpflichtung zur Solidarität ergibt sich heute nicht mehr automatisch aus der Stärke des einen und der Schwäche des anderen Partners. Solidarität wird an Bedingungen geknüpft. Die Schuld-Frage spielt mehr und mehr eine Rolle. D.h. nur wer "unschuldig" in Not gerät, hat das Recht auf Solidarität (Martin Hartmann).
  • Gesundheit hat eine besonders herausgehobene Bedeutung erhalten. Die Möglichkeiten der Förderung von Gesundheit werden wider besseres Wissen simplifiziert: Als maßgeblich werden fast ausschließlich die Faktoren individueller Lebensweise herausgestellt. Damit rückt die "Schuld" der Individuen an ihrem Gesundheitszustand in den Mittelpunkt. Die Berechtigung, auch einmal krank zu sein, schwindet. Die Bereitschaft der Gesunden, Erkrankungen anderer solidarisch mitzutragen, nimmt ab.


Test-and-Treat-Strategien werden epidemiologisch niemals den Erfolg haben, den die Prävention als soziale Lernstrategie hat, setzen Menschen mit HIV aber weiter unter Druck

Was bedeutet dies für den Umgang mit Menschen mit HIV und für den Stellenwert der Prävention in unserer Gesellschaft?

  • Nach scharfen Auseinandersetzung in den achtziger Jahren einigte sich die deutsche Gesellschaft grundsätzlich auf einen solidarischen Umgang, der auch in dem Slogan "AIDS geht uns alle an" deutlich wurde.
  • Heute "verschwinden" HIV-Positive nicht mehr durch schnelle Erkrankung aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Mit rechtzeitiger Therapie haben sie eine Lebenserwartung wie andere auch. Sie leben, arbeiten, lieben und nehmen an allen gesellschaftlichen Prozessen teil. Die Gesellschaft wird also mit Menschen mit HIV neu aushandeln müssen, wie sie in Zukunft gemeinsam leben wollen.
  • Wie schwer sich die Gesellschaft bis heute damit tut, wird zum Beispiel an der in der Studie "positive stimmen" geschilderten Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen, aber auch an dem Umgang der deutschen Strafjustiz mit Menschen mit HIV deutlich.
  • Test-and-Treat-Strategien werden epidemiologisch niemals den Erfolg haben, den die Prävention als soziale Lernstrategie hat. Test-and-Treat setzt aber Menschen mit HIV weiter unter Druck, für den Gesundheitszustand der Gesamtgesellschaft verantwortlich zu sein.


Die Grundlagen für erfolgreiche Gesundheitsförderung und damit auch für eine erfolgreiche HIV-Prävention sind

  • eine freiheitliche Gesellschaft, die alle ihre Mitglieder einbezieht
  • eine Gesellschaft, in der Gesundheit als Wert im Zusammenhang mit anderen wichtigen Werten und Zielen gesehen wird
  • eine Gesellschaft, die auf wechselseitige Solidarität baut

 

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